Buchtipp: „Realitätsverlust.“ – Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen“

Von Manuela Fuchs

Joachim Bauer, Heyne Verlag, 2023, 240 Seiten

Ein Weckruf – und ein Appell zur bewussten Gestaltung unserer digitalen Zukunft

In seinem neuen Buch „Realitätsverlust“ warnt Prof. Dr. med. Joachim Bauer, renommierter Neurowissenschaftler, Arzt und Psychotherapeut mit eigener Praxis, vor einem schleichenden Prozess, der uns alle betrifft, nicht nur die jüngere Generation, und zwar dem Verlust unserer leiblichen, emotionalen und sozialen Verbundenheit in einer zunehmend digitalen Welt.

Er zieht dabei eine bemerkenswerte Parallele zwischen mittelalterlicher Mystik, in der für ihn die Kirche als zentraler Mittelpunkt stand, und der heutigen „digitalen Mystik“.

Bauer meint, wo früher die Kirche als mediale Infrastruktur die Deutungshoheit über die Realität besaß, übernehmen heute die großen Tech-Konzerne diese Rolle. Er mahnt davor, dass Menschen sich in digitale Abbilder ihrer selbst verwandeln und ihre Identität immer stärker in sozialen Medien verlagern. Ein Fluchtverhalten vor einer „zu beschwerlich“ empfundenen Wirklichkeit in virtuelle Ersatzräume, wie beispielsweise das Metaversum, nimmt in seinen Augen drastisch zu.

Bauer nennt dieses Phänomen „Eskapismus“ – eine Form von Realitätsflucht, die zu Entfremdung, Einsamkeit und psychischer Erschöpfung führen kann. Was als „verbindende Technologie“ begann, droht laut Bauer zur Hypnose zu werden. Ein Prozess, in dem immer mehr Menschen dazu verleitet werden aufzuhören, selbst zu denken und zu fühlen.

Der Mensch als Resonanzwesen

Als Neurowissenschaftler beschreibt Joachim besonders eindrücklich, dass unser Gehirn und Körper zutiefst auf Resonanz mit seiner Umwelt und seinen Bezugspersonen ausgelegt sind. Das „Selbst“ des Menschen entsteht durch Beziehung, bzw. Resonanz und dafür braucht ein Mensch ein reales und greifbares Umfeld, in dem er sich entwickeln kann. Ohne reales Gegenüber verkümmern diese Fähigkeit von Resonanz und Wahrnehmung und somit auch das eigene Selbst. Digitale Systeme können diese Resonanz nur simulieren, aber nie ersetzen!

Gerade aber Kinder, so Bauer, brauchen körperliche Erfahrung, analoge Interaktion und emotionale Spiegelung, um ein stabiles Selbst entwickeln zu können. KI, Tablets oder Social Media können diese Prozesse nicht nur nicht ersetzen, sondern sie wirken ihnen auch aktiv entgegen. Der Mensch braucht andere Menschen, um gesund zu bleiben – biologisch, psychisch und sozial.

Transhumanismus – der neue Glaube

In einem seiner Kapitel beschreibt Bauer den Transhumanismus als moderne „Techno-Religion“. Er sieht darin eine Ideologie, die den Menschen als fehlerhaftes, verbesserungsbedürftiges Wesen betrachtet. Als biologische Maschine, die durch Technologie optimiert oder gar ersetzt werden kann.

Das Versprechen der Tech-Giganten unserer Zeit, dass ein „ewiges Leben“ im virtuellen Raum möglich wäre, erinnert Joachim Bauer an mittelalterliche Heilsversprechen der Kirche. Und das ist doch ein Punkt, der zum Nachdenken anregen sollte. Blindes Vertrauen in eine nicht greifbare Welt sollte nur mit großer Achtsamkeit erfolgen.

Digitale Narzissmusfalle

Weiters analysiert Bauer in seinem Buch auch die psychologischen Folgen der sozialen Medien. Die ständige Suche nach Aufmerksamkeit, Bestätigung und Resonanz erzeugt nach Bauer einen gewissen digitalen Narzissmus. Wobei er nachdrücklich erwähnt, dass jeder Mensch nach Aufmerksamkeit strebt, das liegt in unserer Natur. Aber allein, wie stark das Verlangen nach Aufmerksamkeit ist und wie dieses gestillt wird, macht den Unterschied.

So ist es manchmal sehr verständlich, wenn Menschen ihre Identität ins Netz verlagern, wo Selbstdarstellung wichtiger wird als das echte Erleben von Situationen oder Begegnungen mit anderen Menschen. Dieses Fluchtverhalten verstärkt sich, wenn sie sich in der realen Welt nicht wahrgenommen fühlen. Leider kann dieses Verhalten zu einem paradoxen Resultat führen. Denn die permanente Online-Präsenz, so Bauer, geht Hand in Hand mit dem Verlustgefühl von realer Verbundenheit.

Joachim Bauer fordert somit eine „Rückkehr zur Realität“, und zwar zur Resonanz, Empathie, Körperlichkeit und echter Begegnung. Nur so könne Humanität im digitalen Zeitalter bewahrt werden.

Joachim Bauers „Realitätsverlust“ erinnert uns daran, dass technologische Entwicklungen immer auch eine Frage der Haltung sind. Seine Kritik sollte uns wachrütteln, aber nicht lähmen. Denn die eigentliche Gefahr liegt nicht in der KI selbst, sondern in einem unbewussten Umgang mit ihr.

Für jeden, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzen möchte, ist dieses Buch zu empfehlen, da es einen kritischen Blick auf die „neue“ digitale Welt wirft. Joachim Bauer möchte uns daran erinnern, dass wir immer die Wahl haben und am Ende die Entscheidung tragen, in welche Richtung sich unsere Welt und wir als Menschen entwickeln wollen.

KI als Instrument bewusster Reflexion

Auch wir bei Coverdale sehen die Risiken einer unreflektierten Digitalisierung. Aber wir glauben daran, dass Technologie uns unterstützen kann, bewusster und menschlicher zu führen, wenn sie richtig eingesetzt wird. Mit unserem AI-Coach haben wir ein Werkzeug entwickelt, das nicht ersetzt, sondern ermöglicht. Es schafft Raum für Reflexion, Struktur und Klarheit in der Führungspraxis.

Während Bauer vor der Entfremdung durch KI warnt, setzen wir bewusst auf ihre unterstützende, nicht ersetzende Kraft. Unser AI-Coach, welcher von erfahrenen Trainer*innen und Coaches entwickelt wurde, fragt nach, spiegelt und unterstützt somit beim Denken. Er liefert keine schnellen Antworten, sondern regt zu besseren Fragen und zur Reflexion an. So können wir sicherstellen, dass der Mensch immer im Zentrum bleibt und die KI zum Sparringpartner wird und nicht zum Entscheider. Digitale Tools sind bei uns keine Ersatzrealität, sondern Brücken zwischen Wissen und Handeln. Sie schaffen Zugänge, wo Zeit, Distanz oder Komplexität sonst Barrieren wären.

Digitale Humanität ist möglich

Bei Coverdale verfolgen wir klar das Ziel, Humanität und Technologie zu verbinden, und zwar im Bewusstsein, dass es unsere Haltung ist, die bestimmt, ob KI uns dient oder eben nicht.

Damit geben wir Bauers Sorge eine konstruktive Antwort: Ja, wir brauchen Wachsamkeit und ethische Grenzen, aber auch den Mut, die Chancen von KI in einem humanistischen Sinne zu nutzen.

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