„Agil machen oder agil sein“ – dieser Unterschied wurde schon mehrmals diskutiert. Meist um dabei hervorzuheben, dass es eine wirkungsvolle Form der Agilität nur geben kann, wenn man nicht nur agile Prozesse etabliert, sondern dabei auch agil ist. Sich also auch so verhält und nicht nur neuen Prozessen folgt.

Viele sind der Meinung, dass man mehr erreichen kann, wenn man ‚agil sein‘ fördert und nicht nur agile Abläufe implementiert. Das hört oder liest man auch immer wieder in agilen Communities. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Was passiert, wenn sich eine Organisation für die Einführung einer agilen Methode entscheidet und dabei den Fokus auf Prozessverbesserung setzt? Vielleicht weil es gerade der nächste sinnvolle Entwicklungsschritt ist, es tatsächlich den konkreten Wunsch nach einem besseren Prozess gibt oder auch aus anderen Gründen. Ist eine solche agile Entwicklung, also mehr auf Abläufe fokussiert zu sein, damit sinnlos? Hat Agilität im Unternehmen dadurch keinen Wert? Verschwenden wir dadurch wertvolle Zeit?

Nehmen wir mal an, es gibt eine große Organisation, die sich über eine Verbesserung der eigenen Arbeitsweise Gedanken macht.

Nun beginnt diese Organisation sich ausführlich und detailliert zu überlegen was sie verbessern kann. Sie sucht sich ein geeignetes agiles Modell, passt das an die eigenen Bedürfnisse an und definiert einen konkreten Umsetzungsplan. Sie nominiert ein Projektteam und setzt einen Zeitrahmen sowie ein Budget fest.

Soweit so gut. Es handelt sich also um ein Change-Projekt, wie es bekannt ist und üblicherweise umgesetzt wird. Nachdem in dem Beispiel agile Methoden eingeführt werden, benennen wir das mal als ‚agile Transition‘. Ob das der beste Begriff dafür ist, lassen wir vorerst dahingestellt.

Als nächstes wird das neue Modell (die agilen Abläufe) genau nach Plan umgesetzt und mit viel Coachingeinsatz begleitet. Schließlich braucht man bei einer agilen Transition auch agile Coaches, die den Teams bei der Umstellung helfen.

Nach einiger Zeit werden Dinge effizienter. Es gibt weniger Missverständnisse im Miteinander. Die Teams erfahren mehr Struktur und empfinden es als gut. Das Umfeld wird besser eingebunden und beginnt das wahrscheinlich zu akzeptieren.

Aber warum wurde es besser? Es wurde doch bisher „nur“ ein Prozess eingeführt? So agil ist das ja noch gar nicht, wenn man an das ‚agil sein‘ denkt!

Nun, es wurde dabei die Effizienz gesteigert. Dinge werden nun also „richtig“ getan. Die vorgegebenen Abläufe werden nun mit weniger Aufwand gemacht. Das klingt doch gut, oder?

Ist es damit aber auch effektiv? Machen die Teams also auch das Richtige? Ergibt das über alle im Wertschöpfungsprozess involvierten Teams hinweg bereits ein schnelles „Time-to-Market“? Erzeugen sie einen möglichst hohen Wert für den Kunden? Gibt es ein Selbstverständnis für Wertorientierung? Investieren die Personen ihre Zeit in die richtigen Aufgaben? Wissen die Teams überhaupt, was die richtigen Aufgaben sind? Oder machen sie nur die vorgegebenen Dinge innerhalb ihrer Teams besser, schneller und koordinierter?

Die konkrete und bewusste Förderung eines agilen Denkens ist nur dann wichtig, wenn es darum geht, effektiv in der Lieferung von Wert an den Kunden zu werden. Wenn es darum geht, dass jeder Mitarbeiter bestehende Muster hinterfragen darf und angehalten ist, Dinge laufend zu verbessern. Effektivität bedeutet, die richtigen Dinge zu tun. Das heißt, dass es nicht um die Verbesserung eines vorgegebenen Prozesses geht, sondern darum den besten Weg zu finden, um ans Ziel zu kommen. Und wenn es sinnvoll ist Dinge wegzulassen, dann soll auch dies passieren dürfen. Dazu braucht es aber einen großen Bewegungsrahmen und gleichzeitig klare Grenzen, in dem ein Team selbständig entscheiden und handeln darf. Und nachdem die Zusammenarbeit über viele Teams hinweg eine große Rolle spielt, reicht es nicht aus nur in den Teams agil zu sein. Es muss über die ganze involvierte Organisation hinweg, inklusive dem Management, gelebt werden.

Viele Organisationen beschäftigen sich mit agiler Prozessverbesserung, um effizienter zu werden. Altbekanntes wird besser gemacht und möglicherweise trifft das genau die Erwartungshaltung mancher Auftraggeber.

Es bleibt die Frage offen, welchen Grad an Agilität man insgesamt in der Organisation erreichen will. Denn das beschriebene Change-Projekt hat die Facetten des „agil seins“ wahrscheinlich nicht wirklich verändert, sondern hauptsächlich die des „agil machens“.

Aus diesen Überlegungen kann man folgendes ableiten:

  1. Es geht nicht immer um Agilität, wenn ‚AGIL‘ draufsteht! Und das kann im einzelnen Fall gut sein. Es ist vielleicht nur bewusst oder unbewusst falsch bezeichnet oder vielleicht auch schöngeredet. Zusätzlich gibt es ja auch keine einheitliche Definition von Agilität. Es sollte also respektiert werden, solange es in die gewünschte Richtung führt und hilft.
  2. Wenn Effizienzverbesserung im Fokus steht, dann ist es nicht so wichtig, ob man auf ein agiles Framework setzt oder auf eine andere Methode die hilft den Prozessablauf zu verbessern.
  3. Wenn es aber um einen gewollten Umbau des Geschäftsmodells geht, oder um das Erreichen eines hohen Grades an Kundenorientierung oder Selbstorganisation, es also eine Notwendigkeit gibt sich radikal zu transformieren, dann ist diese Fokussierung eher nicht Zielführend für das Unternehmen! In dem Fall sollte man es aufzeigen, den involvierten Entscheidern mehr Orientierung anbieten, die Unterschiede erklären und eventuell Konsequenzen des Irrtums klarstellen. Auch wenn es schwierig ist, auf das hinweisen zu müssen.

Agilität hat unterschiedlichste Bedeutungen. Es macht einen großen Unterschied was damit gemeint wird, mit wem man redet, welcher Bedarf auf strategischer Ebene der Auslöser dafür ist, wie groß die Organisation ist und ab welcher hierarchischen Ebene Agilität umgesetzt wird. Für mich als Berater und Coach ist es wichtig zuerst mal zu verstehen, was denn die wesentlichen Stakeholder mit dem Begriff Agilität ausdrücken wollen. Es ist übrigens manchmal gar nicht so einfach, das herauszufinden.

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