Diese Frage war eine der häufigsten, die mir im letzten Jahr von Trainingsteilnehmer*innen oder Coaching Klient*innen gestellt wurde, und die ich gerne im Rahmen meines Jahresabschlussartikels für die Coverdale Review besprechen möchte.

Was sind eigentlich emotionalisierte Situationen?

Wir verstehen unter emotionalisierten Situationen, eine Situation, in der zumindest eine Partei emotional aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Ursachen dafür, dass die Emotionen die Situation „übernehmen“ können vielfältig sein. Einige Beispiele:

  • Das eigene Selbstverständnis ist erschüttert. Ich fühle mich angegriffen, z.B. in Bezug auf meine Kompetenz, auf meine Werte oder auf meine sozialen Beziehungen.
  • Ich befinde mich in einer für mich bedrohlichen Situation. (Angst vor Jobverlust, Angst vor Reputationsverlust)
  • Ich erlebe den anderen als persönliches Hindernis in der Erledigung einer Aufgabe.
  • Die andere Seite hat einen wunden Punkt bei mir (roter Knopf) gedrückt.
  • ….

Ausgangslagen

Interessanterweise haben uns die meisten Kund*innen von einer ähnlichen Ausgangslage berichtet, wenn wir die Teamsituation gemeinsam analysierten.

Die Remote Teams waren vorwiegend faktenorientiert, es gab unter den Teammitgliedern wenig persönlichen Kontakt über die notwendigen Meetings oder klassischen Zusammenarbeitssituationen hinaus und eigentlich kannten sich die Teams persönlich nicht wirklich gut, da sie oft an verschiedenen Unternehmensstandorten, oft auch in unterschiedlichen Zeitzonen angesiedelt waren.

Der Kontakt zwischen den Teammitgliedern oder den Teammitgliedern und der Führungskraft war meist anlassbezogen. Oft wurde wenig Zeit investiert, um die Zusammenarbeit im Team über gemeinsam vereinbarte Prinzipien oder auch Regeln zu organisieren, weil zumeist die Annahme vorherrschte, dass das ja sowieso „klar“ sei. Sobald diese Annahmen sich nicht bewahrheiteten, waren Schwierigkeiten vorprogrammiert, und es kommt immer wieder zu Situationen, wo die eine oder andere Person ihrem Ärger via Videokonferenz sehr deutlich Luft machte.

Im Rahmen dieses Artikels möchte ich drei Aspekte genauer beleuchten:

  1. Erste Hilfe – Was tun, wenn die Situation da ist.
  2. Prävention – Wie kann ich als Führungskraft dazu beitragen, dass es gar nicht zu Eskalationen in Videokonferenzen kommt.   

Erste Hilfe 

Wenn die andere Seite emotional reagiert:

Betrachten wir die Perspektive der Person, die mit einer emotionalen „Verwerfung“ der anderen Person konfrontiert ist.

Wenn Ihnen eine andere Person emotional begegnet, geht es vor allem darum, sich nicht selbst „anstecken“ zu lassen. Das bedeutet, so lange wie nur möglich ruhig zu bleiben. Gleichzeitig muss mir klar sein, dass ich mit der anderen Seite nur wenig Konstruktives „anfangen“ kann, solange sie emotional ist.

Wenn jemand „ausflippt“, holen Sie tief Luft, und versuchen Sie zuzuhören. Verzichten Sie darauf, inhaltlich zu arbeiten, und Dinge zu besprechen, sondern hören Sie einfach aktiv zu, bis die andere Seite wieder heruntergekommen ist.

Im nächsten Schritt versuchen Sie herauszufinden, was ihre/n Gesprächspartner*in so aufgeregt hat, und was es braucht, dass die Person wieder arbeitsfähig ist.

In weiterer Folge sollten Sie besprechen, dass man über alles reden kann, allerdings in einem Ton, der für beide Seiten akzeptable ist.

Wenn ich selbst merke, dass bei mir die Emotionen übernehmen:

Egal in welcher Rolle Sie virtuell mit anderen Personen kommunizieren, wenn Sie merken, dass Sie langsam aber sicher emotional in Schwingung geraten, steuern Sie aktiv gegen.

Melden Sie sich kurz ab, gehen Sie ein paar Schritte, holen Sie sich was zu trinken, öffnen Sie das Fenster, oder versuchen Sie durch ruhiges und tiefes Atmen einen klaren Kopf zu bekommen.

Denken Sie darüber nach, was Sie im Moment gerade aus dem Gleichgewicht bringt und artikulieren Sie den anderen Gesprächspartnern gegenüber, was Sie brauchen, dass Sie konstruktiv mitmachen können. Wenn das in diesem Gespräch im Moment nicht möglich ist, bitten Sie um eine Unterbrechung.

Idealerweise finden Videokonferenzen immer moderiert statt, somit könnten Sie via persönlichen Chat Kontakt aufnehmen, und um eine Intervention bitten, falls Sie das nicht „laut“ direkt tun können oder wollen.

Wenn Sie selbst in der Moderator*innen Rolle sind, und sie merken, dass sie emotional aus dem Gleichgewicht geraten, holen Sie tief Luft und kündigen Sie eine kurze Pause an.

Prävention

Wir empfehlen einige Maßnahmen zur Prävention, die dann in der entsprechenden Situation angewendet werden können:

Work Hack 1: Atemtraining:

Trainieren Sie einen Atemrhythmus von fünf Atemzügen pro Minute für 3 Minuten. Wiederholen Sie die Übung wenn möglich 3 – 5 x am Tag für etwa einen Monat.

Wenn Sie die Übung regelmäßig machen, wird es Ihnen möglich sein, in einer Situation, wo Sie mit jemandem sprechen, der stark emotionalisiert ist, durch einen langen Atemzug in den trainierten Atemrhythmus zu verfallen, der es Ihnen ermöglicht, länger ruhig zu bleiben, als wenn Sie in Ihrem normalen Tempo atmen.

Work Hack 2: One on One

In Remote Teams kommt es oft vor, dass man sich vor allem inhaltlich austauscht und für die persönlichen Themen der Mitarbeitenden wenig Zeit bleibt. Nutzen Sie daher als Führungskraft ein Gesprächsformat, dass es Ihnen ermöglicht, einen Eindruck zu bekommen, wie es ihren Teammitgliedern geht. In diesen persönlichen Gesprächen sollte es vordringlich darum gehen, wie die Mitarbeitenden „drauf“ sind, was gut läuft, wo sie mehr Unterstützung brauchen, und welche Dinge gerade „schief“ laufen. Nehmen Sie die Anliegen der Mitarbeitenden ernst und versuchen Sie bei Bedarf gemeinsam mit den Mitarbeitenden Lösungen zu finden.

Mitarbeiterentwicklung

Besonders in Remote Teams ist es wichtig, die sozialen Kompetenzen der Mitarbeitenden auf ein hohes Niveau zu bringen. Mitarbeitende sollten in der Lage sein, bedürfnisorientiert zu kommunizieren. Das bedeutet, lernen Sie Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg und machen Sie Bedürfnis-orientierte Kommunikation zu einer Spielregel im Team.

Trainieren Sie gemeinsam Feedback zu geben und zu nehmen und konstruktiv Kritik zu äußern.

Vereinbaren Sie Spielregeln, wie die Kommunikation im Team stattfindet und was passieren soll, wenn jemand aus dem Gleichgewicht gerät.

Teamentwicklung

Planen Sie als Führungskraft explizit Zeit ein, um den Zusammenhalt im Team zu entwickeln. Das ist auch bei Remote Teams möglich. Nutzen Sie spezifisch Zeit, um sich kennenzulernen und die Stärken und Bedürfnisse aller Teammitglieder zu erfragen.

Entwickeln Sie Rituale im Team, die es ermöglichen, auch abseits von rein inhaltlich geprägten Meetings Zeit für persönlichen Austausch zu schaffen. Führen Sie zum Beispiel einen gemeinsamen Morgenkaffee, oder einen Stammtisch ein, der vielleicht auch auf einem anderen Kanal stattfindet als die klassischen Meetings und nutzen Sie die Zeit, die Teammitglieder besser kennenzulernen und ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln.

Insgesamt denken wir, dass Führungskräfte sowohl präventiv als auch kurzfristig handeln sollten, wenn es zu emotionalisierten Situationen kommt. Achten Sie in Remote Teams besonders darauf, dass die Teammitglieder hohe soziale Kompetenzen haben, wenn sie ins Team kommen. Das ist einer der Erfolgsfaktoren in Remote Teams.

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