„Unsere Mitarbeiter*innen müssen kompetenter werden!“ – Diesen Wunsch hören wir von Führungskräften und HR-Verantwortlichen fast täglich. Doch was bedeutet das eigentlich genau? Und vor allem: Wie entwickeln sich Kompetenzen? Wer versteht, wie Kompetenzen entstehen, kann sie gezielter fördern und damit sowohl die individuelle als auch die organisationale Leistungsfähigkeit nachhaltig steigern.

Was sind Kompetenzen eigentlich?

Bevor wir uns der Entstehung von Kompetenzen widmen, sollten wir klären, was wir unter Kompetenzen verstehen. Kompetenzen sind mehr als nur Fachwissen oder einzelne Fähigkeiten. Sie umfassen die Fähigkeit, in komplexen und oft unvorhersehbaren Situationen wirksam zu handeln, dabei verschiedene Ressourcen zu mobilisieren und Lösungen zu entwickeln. Kompetenzen zeigen sich erst im Handeln – sie sind das, was Menschen befähigt, in der Praxis erfolgreich zu sein.

Dabei unterscheiden wir zwischen verschiedenen Kompetenzarten: Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und Selbstkompetenzen. Alle diese Bereiche entwickeln sich nach ähnlichen Mustern – und genau diese Entwicklungsmuster zu verstehen, ist der Schlüssel für effektives Kompetenzmanagement.

Die vier Stufen der Kompetenzentwicklung

Die Entwicklung von Kompetenzen folgt einem vorhersagbaren Muster, das bereits in den 1970er Jahren von Noel Burch beschrieben wurde: dem Vier-Stufen-Modell der Kompetenzentwicklung. Dieses Modell hilft uns zu verstehen, wie Menschen neue Fähigkeiten erlernen und kompetent werden.

Stufe 1: Unbewusste Inkompetenz – „Ich weiß nicht, was ich nicht weiß“

In der ersten Stufe sind sich Menschen ihrer Wissenslücken oder fehlenden Fähigkeiten nicht bewusst. Sie erkennen noch nicht, dass ihnen bestimmte Kompetenzen fehlen, oder unterschätzen die Komplexität einer Aufgabe. Ein klassisches Beispiel: Ein/e erfahrene/r Fachexpert*in wird zur Führungskraft befördert und glaubt zunächst, Führung sei „nur gesunder Menschenverstand“ – bis er/sie merkt, wie komplex zwischenmenschliche Führung wirklich ist.

Hier zeigt sich auch der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt: Menschen mit geringem Wissen in einem Bereich überschätzen oft ihre eigenen Fähigkeiten. Sie können ihre Inkompetenz nicht erkennen, weil ihnen genau das Wissen fehlt, das nötig wäre, um ihre eigenen Grenzen zu erkennen. Dieses Phänomen begegnet uns im Arbeitsalltag häufig – denken Sie an den/die IT-Mitarbeiter*in, der/die glaubt, Projektmanagement könne er/sie „nebenbei“ machen, oder die Fachkraft, die überzeugt ist, Präsentationen seien „kein Problem“.

Stufe 2: Bewusste Inkompetenz – „Ich weiß, was ich nicht weiß“

Der Übergang in die zweite Stufe ist oft schmerzhaft, aber entscheidend für jede Entwicklung. Hier wird Menschen bewusst, dass ihnen bestimmte Kompetenzen fehlen. Diese Erkenntnis kann durch Feedback, neue Aufgaben oder das Beobachten anderer entstehen. Plötzlich wird klar: „Ich muss noch viel lernen.“

Diese Stufe kann frustrierend sein, ist aber gleichzeitig der wichtigste Wendepunkt im Lernprozess. Erst, wenn Menschen ihre Wissenslücken erkennen, entsteht die Motivation, etwas zu ändern. Hier ist es entscheidend, dass Führungskräfte und HR-Verantwortliche diese Phase als natürlichen Lernschritt vermitteln und Mitarbeitende dabei unterstützen, diese Erkenntnis als Wachstumsmöglichkeit zu verstehen, nicht als persönliches Defizit.

Stufe 3: Bewusste Kompetenz – „Ich kann es, wenn ich mich konzentriere“

In der dritten Stufe haben Menschen die notwendigen Fähigkeiten entwickelt, müssen aber noch bewusst darüber nachdenken und sich konzentrieren, um sie anzuwenden. Sie beherrschen die Kompetenz, aber sie erfordert noch Aufmerksamkeit und Anstrengung. Ein Beispiel: Eine frischgebackene Führungskraft kann bereits strukturierte Mitarbeitergespräche führen, muss aber noch jeden Schritt bewusst planen und durchdenken.

Diese Stufe erfordert viel Übung und Wiederholung. Hier zeigt sich, wie wichtig kontinuierliches Training und die Möglichkeit zur praktischen Anwendung sind. Ohne ausreichende Übung besteht die Gefahr, dass Menschen in schwierigen Situationen in alte Muster zurückfallen.

Stufe 4: Unbewusste Kompetenz – „Es geht wie von selbst“

Die vierte Stufe ist das Ziel jeder Kompetenzentwicklung: Die Fähigkeit ist so verinnerlicht, dass sie automatisch und ohne bewusste Anstrengung angewendet wird. Menschen können ihre Kompetenz sogar ausüben, während sie gleichzeitig andere Dinge tun. Ein/e erfahrene/r Projektleiter*in kann beispielsweise intuitiv Spannungen im Team wahrnehmen und angemessen reagieren, ohne bewusst darüber nachdenken zu müssen.

Paradoxerweise kann diese Stufe neue Herausforderungen mit sich bringen: Expert*innen haben oft Schwierigkeiten, ihr Wissen an andere weiterzugeben, weil sie nicht mehr bewusst wissen, wie sie vorgehen. Für die Personalentwicklung bedeutet das: Die besten Fachkräfte sind nicht automatisch die besten Trainer*innen.

Was bedeutet das für die Praxis?

Das Verständnis dieser vier Stufen hat weitreichende Konsequenzen für die Kompetenzentwicklung in Organisationen:

  • Individuell angepasste Entwicklungsmaßnahmen:

Je nachdem, auf welcher Stufe sich eine Person befindet, sind unterschiedliche Entwicklungsansätze erforderlich. In der ersten Stufe geht es um Bewusstseinsbildung, in der zweiten um Motivation und Lernbereitschaft, in der dritten um strukturiertes Training und in der vierten um Vertiefung und Wissenstransfer.

  • Feedback als zentrales Element:

Feedback ist der Katalysator, der Menschen von der unbewussten zur bewussten Inkompetenz bringt. Eine starke Feedbackkultur ist daher essentiell für jede Kompetenzentwicklung. Dies erklärt auch, warum 360°-Feedback-Prozesse so wirkungsvoll sind – sie machen blinde Flecken sichtbar.

  • Geduld und realistische Erwartungen:

Kompetenzentwicklung braucht Zeit und kann nicht beschleunigt werden. Das Verständnis der vier Stufen hilft dabei, realistische Zeitpläne zu entwickeln und Frustration zu vermeiden, wenn Fortschritte zunächst langsam erscheinen.

  • Kompetenzen vs. Qualifikationen:

Während Qualifikationen oft formal vermittelt werden können, entwickeln sich Kompetenzen primär durch praktische Anwendung und Reflexion. Reine Schulungen reichen nicht aus – es braucht Anwendungsmöglichkeiten und begleitende Unterstützung.

  • Die Rolle der Führungskraft

Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle in der Kompetenzentwicklung ihrer Mitarbeitenden. Sie müssen nicht nur erkennen, auf welcher Stufe sich ihre Teammitglieder befinden, sondern auch die passende Unterstützung bieten. Das erfordert eine neue Art der Führung – weg vom reinen Anweisen hin zum Coachen und Entwickeln.

Gleichzeitig müssen Führungskräfte auch ihre eigenen Kompetenzen kontinuierlich entwickeln. In einer sich schnell verändernden Arbeitswelt werden regelmäßig neue Kompetenzen erforderlich, und auch erfahrene Führungskräfte finden sich immer wieder in der Stufe der unbewussten Inkompetenz wieder.

Kompetenzen entstehen nicht zufällig

Kompetenzen entwickeln sich nach erkennbaren Mustern. Wer diese Muster versteht, kann Kompetenzentwicklung gezielter gestalten und dabei sowohl die individuellen Bedürfnisse als auch die organisationalen Ziele berücksichtigen. Das Vier-Stufen-Modell bietet einen praktischen Rahmen, um Entwicklungsprozesse zu verstehen und zu steuern.

Die Investition in Kompetenzentwicklung ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Denn am Ende sind es nicht die Technologien oder Strategien, die den Unterschied machen – es sind die Menschen mit ihren Kompetenzen, die Organisationen erfolgreich machen.

Haben Sie Fragen zur Kompetenzentwicklung in Ihrem Unternehmen? Kontaktieren Sie uns – wir unterstützen Sie gerne dabei, ein systematisches Kompetenzmanagement aufzubauen.

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