„Geh‘ weida, Oida“

Szenario: Ein warmer Vorsommerabend. Ich mache mit meiner Gattin und unserem Hund den abendlichen Spaziergang in Wien. Auf dem Rückweg müssen wir den Gürtel queren. Auf der Straße ist Rush Hour, es gibt immer wieder Staus, die Autofahrer, die es bei Grün „nicht mehr geschafft haben“, verstellen die Kreuzungen bzw. die Fußgängerüberwege. Ein Auto verstellt direkt vor uns den für Fußgänger gedachten Schutzweg, als wir Grün bekommen. Wir müssen ausweichen, gehen vorne um das Auto herum und im Vorbeigehen werfe ich einen Blick in das Wageninnere. 10 Meter weiter höre ich hinter mir aus dem Wageninneren eine männliche Stimme rufen: „Geh, weida, Oida!“

Abgesehen davon, dass ich, obwohl in meinem Rücken ausgesprochen, diese Aufforderung sofort auf mich bezog, ging ich tatsächlich unbeirrt weiter. Ich fragte meine Gattin: „War das jetzt eine freundliche Aufforderung, weiterzugehen oder was? Soll ich nochmal zurückgehen, um zu fragen? Was meinst Du, wird dann passieren?“ Meine Gattin antwortete: „Na, als freundlich habe ich das nicht wahrgenommen, eher als ‚Schleich Dich‘.“ Ich nahm den Faden auf: „Also Du meinst, er reagiert so, weil er das Gefühl hat, dass ich ihn mit meinem Hineinschauen, darauf aufmerksam gemacht habe, dass er etwas falsch gemacht und andere damit behindert hat?“

So viel zum Szenario. Gehen wir das Ganze einmal nach Schulz von Thun kommunikationstechnisch an (es gelten natürlich Annahmen):

„Geh weida, Oida!“

Mögliche Sender-Ohren:

Sachebene: „Gehen Sie weiter!“ (rein sachlich: „Entferne Dich von meinem Auto!“)

Appellebene: „Mach, dass Du Land gewinnst! (Im Sinne: „Verzieh‘ Dich!“)

Selbstoffenbarung: „Ich hab‘ eh‘ schon einen Sch…Tag gehabt und jetzt schaut der auch noch blöd!“

Beziehung: „Hast Du ein Problem mit mir?“

Gehört habe ich es spontan auf dem Sachohr: Ich bin, zusammen mit meiner Gattin und unserem Hund, einfach weitergegangen.

Gehört auf der Beziehungsebene, hätte ich zurückgehen können, um das mit dem Problem zu „lösen“.

Auf der Selbstoffenbarungsebene hätte ich zurückgehen können, um zu fragen, wie es dem Autofahrer geht, warum er so reagiert hat.

Gleichzeitig hätten alle Ebenen außer dem Sachohr höchstwahrscheinlich zu einer Konfrontation geführt.

  • Ich höre grundsätzlich einmal auf dem Sachohr: zunächst die reine Information empfangen.
  • Das schützt mich davor, eine Aussage gleich persönlich zu nehmen (es sei denn, es handelt sich um einen konkreten verbalen Angriff oder eine Beschimpfung).
  • Im Sinne eines Appells fühle ich mich nicht sofort verpflichtet, etwas zu tun. Bittet mich jemand konkret um etwas, bin ich gerne bereit, der Bitte nachzukommen, soweit es in meinen Kräften steht.
  • Und letztendlich sagt das, was der/die Sender*in sagt, immer sehr viel darüber aus, wie es ihm/ihr gerade geht.

Vielleicht sollten wir in unserer Kommunikation wieder mehr auf das Selbstoffenbarungsohr achten und versuchen, uns ins Gegenüber hineinzuversetzen, bevor wir es morgen wieder persönlich nehmen, dass der/die Nachbarin unseren freundlichen Gruß nicht erwidert.

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