Effectuation als Alternative in einem dynamischen Umfeld

Unternehmen in der VUCA-Welt bewegen sich in einem Umfeld, das geprägt ist von Volatilität (Schwankungsintensität), Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (Mehrdeutigkeit).

Die bewährten klassischen Methoden und Instrumente stoßen an ihre Grenzen. Ziele können nur unter begrenzten Perspektiven – „morgen kann alles anders sein“ – festgelegt werden, ohne dass die Verantwortlichen die Komplexität wirklich übersehen können.

Dies betrifft insbesondere umfangreiche Entwicklungsprojekte (Produkte, IT, etc.), die erhebliche Investitionen erfordern und in der Umsetzung viel Zeit benötigen.

Effectuation ist ein alternatives Vorgehensmodell für ungewisse, komplexe Situationen mit großem Gestaltungsspielraum.

Wie konkret kann Effectuation in Projekten aussehen:

Im folgenden Beispiel benötigte der Bereichsleiter Service Österreich eines internationalen Konzerns ein Planungs- und Monitoring-Tool für das Management von Serviceaufträgen.

Er wollte dies mit eigenen Mitarbeitern und geringem finanziellen Aufwand realisieren. Dabei sollten Informationen aus vorhandenen Systemen eingebunden werden. Die Lösung sollte in Excel erstellt werden.

Die Komplexität nahm sehr schnell zu, so dass Excel sich als ungeeignet erwies.

Der Bereichsleiter wandte sich an den Leiter der IT-Abteilung. Die IT-Abteilung arbeitete bis dahin klassisch:

  1. Auftrag formulieren
  2. Projektteam zusammenstellen
  3. Umfeld- und Stakeholder-Analyse, (bei großen Projekten auch eine Risiko-Analyse und einen Plan zum Risikomanagement) erstellen.
  4. Planen
  5. Phasenweise umsetzen und Projektcontrolling implementieren
  6. Testen und an den Auftraggeber übergeben

Gründe für Effectuation

In diesem speziellen Fall entschieden sich Bereichsleiter und IT-Leiter für ein neues Vorgehen – „Effectuation“, weil

  • der Handlungsanlass, die Planung und Steuerung der Service-Aufträge zu verbessern und dafür die Finanzzahlen aus vorhandenen Systemen zu nutzen und mit weiteren Auftragsdaten zu verknüpfen, zwar klar war, die Aufgabe gleichzeitig aber sehr komplex. Damit war die Unsicherheit hinsichtlich des Ergebnisses und der technischen Realisierbarkeit sehr groß.
  • die beiden Führungskräfte ein neues Vorgehen mit partnerschaftlichem Ansatz testen wollten.
  • die Beteiligten schnell und pragmatisch ins Handeln und zu nutzbaren Ergebnisse kommen und nicht monatelang diskutieren wollten, was muss, kann, soll unternehmensweit umgesetzt werden.
  • das Projekt sehr viel Gestaltungsfreiheit hatte, aber auch begrenzte personelle und finanzielle Ressourcen.

Umsetzung nach Effectuation-Prinzipien

Hohes Engagement

Bei der Auswahl des Projektleiters und des Projektteams wurde auf Freiwilligkeit gesetzt, um eine möglichst große Identifikation der Beteiligten mit dem Projekt sicherzustellen. Es wurden nicht die Mitarbeiter benannt, die die umfangreichsten Kompetenzen hatten, sondern diejenigen, die sich stark für die Aufgabe/die Herausforderung interessierten. Es fanden sich zu Beginn sehr schnell drei Mitarbeiter des Servicebereichs (die am Excel-Projekt beteiligt waren) und zwei Mitarbeiter der IT.

Orientierung an den vorhandenen Mitteln

Die Teammitglieder sollten ihre vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen (inhaltlich, prozesstechnisch und IT-technisch) zu den vorliegenden Anforderungen einbringen und dabei das begrenzte Budget des Bereichsleiters berücksichtigen.

Auf einen aufwändigen und langwierigen Zieldefinitionsprozess wurde verzichtet. Hierzu hätten andere Organisationseinheiten hinzugezogen werden müssen.

Ausgangspunkt war nur der „vage“ Wunsch des Bereichsleiters.

Leistbarer Verlust

Der nächste Schritt war nicht ein Business-Case bzw. eine Investitionsrechnung, sondern die Frage: Was (finanzielle Mittel, Zeit, Ansehen, Kontakte, Einfluss) sind wir bereit einzusetzen, auch wenn das Projekt scheitert? Nach dem Motto: „Selbst, wenn es schief geht, ist der Verlust verkraftbar.“

Prioritäten setzen

Unter einer Vielzahl von Anforderungen musste das Team zu Beginn die auswählen, die den größten Nutzen versprachen und mit leistbarem personellen Aufwand zu erstellen waren. Das Team entschied sich (im ersten Schritt) für Funktionalitäten, die in anderen Systemen nicht abgedeckt waren.

Partner und Mitmacher gewinnen

Während des Projektes stellten das Projektteam und die Verantwortlichen die Inhalte und Ergebnisse immer wieder anderen Serviceverantwortlichen in ganz Europa in Teambesprechungen vor. Das Team exponierte sich sehr frühzeitig, auch mit der Gefahr, sich beim Scheitern zu „blamieren“. Statt an einem perfekten Produkt „im stillen Kämmerchen“ zu feilen, lud das Team zur Mitgestaltung und zur Mitarbeit ein.

Ziele anpassen/Chancen nutzen

Die Angesprochenen waren von der anstehenden Lösung und deren Nutzen schnell überzeugt und stellten sich als Tester zur Verfügung. Das Feedback floss umgehend in das Tool ein und führte auch zu zusätzlichem Budget für weitere Funktionen. Die weitere unternehmensweite Vermarktung führte zu weiteren Partnern, die neue Ideen und neue Mittel einbrachten. Der Auftragsumfang wurde erweitert und die Software nutzerfreundlicher gestaltet.

Im Verlauf des Projektes wurde der Bereichsleiter Österreich (Auftraggeber) nach Amerika versetzt, in einem „normalen“ Projekt eher eine Katastrophe. In diesem Fall wurde das Projekt in weitere Länder als Managementtool übertragen.

Erfahrungen aus Sicht des Auftraggebers:

  • Das Projekt wurde im März gestartet und im November abgeschlossen. Es war damit doppelt so schnell wie bisherige Projekte mit herkömmlichem Vorgehen.
  • Das entstandene Tool befriedigte die Nutzerbedürfnisse so gut, dass sich schon in der Pilotphase viele Verantwortliche beteiligten wollten. Dies führte jedoch auch dazu, dass im Sinne der Kapazitätsgrenzen Prioritäten gesetzt werden mussten und einige Anforderungen bewusst nicht umgesetzt wurden.
  • Besonders hervorzuheben war das sehr hohe Engagement und die große Motivation des Projektteams.

FAZIT

Effectuation ist kein Allheilmittel. Es bietet sich für Situationen und Projekte vor allem dann an,

  • wenn zu Beginn ungewiss ist, was das Ziel ist, z. B. bei vielen Stakeholdern mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Ideen.
  • wenn es einen Handlungsanlass gibt und man schnell ins Handeln kommen will, z.B. weil das Umfeld sich schnell verändert
  • wenn der Aufwand kaum realistisch abschätzbar ist und es möglich ist, einen leistbaren Verlust zu identifizieren.
  • wenn man Zufälle als Chancen verstehen und sehr bewusst nutzen möchte.
  • wenn man entsprechende Gestaltungsspielräume – „Grüne Wiese“ – hat

In klassisch strukturierten Unternehmen wird der Ansatz zu Widerständen, zunächst mindestens jedoch zu Irritationen führen. Wieviel Planung machen wir noch? Ein Projekt ohne Business Case, konkrete Ziele und Daten? Wie viele Fehler dürfen wir machen? Dürfen wir scheitern zulassen?

Es gehört zunächst Mut dazu, diese neue Denk- und Vorgehensweise auszuprobieren. Das muss nicht sofort ein ganzes Projekt sein. Es können einzelne Projektphasen oder Herausforderungen im Projekt sein, um erste Erfahrungen zu sammeln.

Literatur:

Faschingbauer, Michael: Effectuation: Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. Schaeffer-Poeschel-Verlag. Stuttgart 2017

Heinen-Konschak, Eric Dr.; Brendle, Bettina: Mit Effectuation Projekte im Ungewissen meistern. In ProjektMagazin. Ausgabe 14/2017

Sarasvathy, Saras D.; Dew, Nicholas: New Market Creation through Transformation, in Journal of Evolutionary Economics, 15 2005

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