Wir erleben im Moment eine Zeit, in der Regierungen vorgeworfen wird, komplett kurzfristig zu handeln und nicht langfristig zu planen. Die Oppositionsparteien rufen medienwirksam nach langfristiger Planung und Berechenbarkeit und unterstellen den Regierenden zu schlafen, nur zu reagieren oder einfach nur unfähig zu sein, weil diese sehr kurzfristig handeln.

Ich möchte mich hier nicht dem politischen Hickhack anschließen und auch nicht meine private Meinung über die Kompetenz unserer Regierung veröffentlichen. Ich werde mir dieses Phänomen systemisch anschauen.

Wir sind im Moment mit einem Problem konfrontiert, dass man als komplexes Problem bezeichnen kann. Damit funktionieren Vorgehensweisen nicht, die man in schwierigen und komplizierten Situationen anwenden könnte.

Wenn wir uns zum Ziel setzen würden, mit welchen Strategien auch immer der Pandemie den Kampf anzusagen und klassisch linear an das Thema herangehen, würden wir Konzepte erarbeiten, die, bis sie zur Umsetzung kommen, einfach nicht mehr aktuell sind, weil sich die Situation schon so schnell weiterentwickelt hat, dass die Umsetzung des Konzepts bestenfalls „bemüht“ wirkt, aber in der eigentlichen Situation keine Verbesserung bringt – als Beispiel kann man die Corona-Ampel betrachten. Diese war wie ein Projekt aufgesetzt und entwickelt – und bis sie zur Umsetzung kam, bereits nicht mehr relevant, weil die Pandemie bereits so weit verbreitet war, dass die Ampel sich binnen weniger Wochen ad absurdum geführt hat.

Lineare Methoden, mit denen man auf ein Ziel zuarbeitet, sind für komplexe Situationen meist zu langsam und nicht erfolgversprechend.

In komplexen Situationen empfehlen wir, mit Hilfe der Effectuation Prinzipien vorzugehen. Diese Prinzipien sind von Sarah Savraswaty im Rahmen der Entrepreneur-Forschung publiziert worden. Die komplexe Ausgangslage für Unternehmer, die in völliger Unsicherheit agieren müssen, ist mit der derzeitigen Pandemie-Situation durchaus vergleichbar.

Die Vision ist, denke ich, relativ klar – wir wollen wieder in einen gesellschaftlich wie wirtschaftlich „gesunden“ Zustand zurück.

Sie soll die Pandemie so beendet werden, dass möglichst wenige Personen zu Schaden kommen und wirtschaftlich möglich wenig Schaden entsteht. Nachdem wir nicht jedes Jahr mit einer Pandemie umgehen müssen und es auch keine echten Erfahrungswerte gibt, ist ein experimentartiges Vorgehen das einzig wirksame Mittel, mit dieser Situation umzugehen.

Die Vier Effectuation-Prinzipien lauten:

  1. Mittelorientierung – das „Bird in Hand“-Prinzip
    Agieren Sie und schaffen Sie Möglichkeiten mit den Ihnen zugänglichen Ressourcen.
  2. Prinzip des leistbaren Verlusts
    Wie könnten wir das potenzielle Risiko, das wir eingehen, verringern, während wir uns noch vorwärtsbewegen?
  3. Vereinbarungen und Partnerschaften – „Crazy Quilt“-Prinzip
    Suchen Sie nach Partnern, die Erfahrung mit den Aspekten bieten, die den nächsten Schritt weniger unvorhersehbar und unsicher machen könnten.
  4. Das „Lemonade“-Prinzip:
    Überdenken Sie das Gleichgewicht zwischen Rechenschaftspflicht und Lernen. Experimentieren Sie, arbeiten Sie zusammen und lernen Sie. Das erhöht Ihre Überlebenschancen und bietet Ihnen die Möglichkeit, wirklich etwas zu bewegen.

Zusammengefasst heißt das – eine Vision zu entwickeln, um die grobe Richtung zu haben.

In kleinen Schritten vorwärts gehen, experimentartig, mit dem Wissen, dass jedes Experiment scheitern kann. Im Falle des Scheiterns wieder anzufangen und einen Korrekturschritt vorzunehmen.

Der Mitteleinsatz sollte für jedes Experiment im Vorfeld geklärt sein. Je mehr Partnerschaften mit den richtigen Partnern passieren, desto geringer ist das Risiko des Scheiterns.

Ausschlaggebend in diesem Vorgehensmodell ist die Haltung, die dahinterstehen sollte:
Personen, die nach diesem Modus vorgehen, haben nicht den Anspruch, dass sie wissen, wo es lang geht, sondern, dass sie nach besten Wissen und Gewissen agieren werden und gleichzeitig nicht garantieren können, ob der nächste Schritt erfolgreich ist oder nicht. Sie haben die Bereitschaft, ein Scheitern zu akzeptieren.

Je besser die Kooperationen sind und je mehr Schwarmwissen inkludiert ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, einen erfolgreichen Schritt zu machen. Langfristig erfolgreich ist dieses Vorgehensmodell, wenn die Beteiligten ihre Kompetenzen bündeln, um etwaige Inkompetenz einzelner auszuschalten.

Die Forschung sagt derzeit, dass dieses „offene Denken“ in komplexen Situationen für viele Menschen, die nur lineare Denkmodelle kennen sehr bedrohlich ist. Die Politik nutzt im Moment vielerorts die Situation, um daraus politisches Kleingeld zu machen. Die professionelle, unpolitische Beobachtung fragt sich – Kalkül oder Inkompetenz?

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